Kunst

 
Ravel Ravel Unravel



Der albanische Künstler Anri Sala bespielt in diesem Jahr auf der 55. Biennale di Venezia den Französischen Pavillon unter der kuratorischen Leitung von Christine Macel, Chefkuratorin des Centre Pompidou.

Wegen des 50-jährigen Bestehens des Élysée-Vertrags findet der französische Beitrag im Deutschen Pavillon statt. Man betritt das Gebäude nicht über die zentrale Eingangstür, diese ist sogar nicht einmal mehr sichtbar durch eine vorgezogene Gipswand, sondern über eine Rampe auf der linken Seite. Eine sehr gelungene Negierung der Symmetrie und Zentralisierung der Architektur findet sich auch im Inneren: Es wurden zwei raumhohe, abgerundete Wände eingesetzt, die sich im mittleren Raum überlappen und den Eingang zu Ravel Ravelbilden. Der Besucher bekommt so eine ganz neue Orientierung in den Räumen, wird entlang der runden Wände durch die Ausstellung geleitet und man bemerkt erst jetzt wie hoch das Gebäude eigentlich ist. Wie Macel im Monopol Interview sagte, haben allein die Erfordernisse, die eine Sound-Installation mit sich bringt, die Gestaltung des Pavillons bestimmt, es gibt keine Verweise auf die Geschichte des Gebäudes. Bemerkenswert, mit was für einer Leichtigkeit die Franzosen dieses Thema angehen.


Im mittleren Teil befindet sich also die Sound-Installation Ravel Ravel in einem schalldichten Raum aus kristallin geformten Schaumstoffwänden. Zu sehen sind zwei Filme, auf leicht zu einander versetzten Bildschirmen. Beide zeigen das Konzert für die linke Hand für Klavier und Orchester, das der französische Komponist Maurice Ravel für den kriegsversehrten Paul Wittgenstein schrieb, der seinen rechten Arm an der Front verloren hatte. Ravel Ravel bezieht sich einerseits auf den Namen des Komponisten aber auch auf das englische Verb to ravel– etwas verwirren, sich verheddern. Man hört und sieht beide Interpretationen des Konzerts parallel von zwei Pianisten gespielt, aber ihre Tempi unterscheiden sich. Mal sind sie im Gleichklang, mal zeitlich versetzt, bilden Echos und holen einander wieder ein. Ebenso verläuft die Choreographie der Hände, manchmal sieht es sogar so aus als würden sie zu einer Hand werden, die über beide Bildschirme reicht. Aber wenn man das Konzert nicht kennt, bemerkt man nicht dass es verdoppelt wurde, ihr Spiel vermischt sich. In den Seitenräumen sieht man dann Chloé, sie ist DJ und Musikproduzentin, die unter dem Titel Unravel versucht die beiden Interpretationen an einem Mischpult wieder zu entwirren und zu synchronisieren. Einmal nur ihr Gesicht in Nahaufnahme, einmal im zentralen leeren Raum des Pavillons aufgenommen, in dem eine sehr ausgeprägte Akustik herrscht und der jetzt durch den schalldichten Ravel RavelRaum ersetzt ist. Es ergibt sich ein sehr subtiles Zusammenspiel von Gegensätzen und Gleichklängen, Körpersprache, Raum- und Zeitgefühl. Der Pavillon ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass zeitgenössische Kunst nicht immer hyperkonzeptuell und theoretisch aufgeladen sein muss oder sollte, sondern auch ohne viel Hintergrundwissen der Besucher eine ganz besondere Erfahrung machen kann. Gleichzeitig versteht es Anri Sala aber auch, sein Werk inhaltlich so zu gestalten, das man bei genauem Beobachten noch viel entdecken kann, dass sein Werk auf sehr vielen Ebenen funktioniert.


My favourite pavilion!

55. Biennale di Venezia 01.06. – 24.11.2013
 

 
 

Identität, Nationalität, Diversität – Der Deutsche Pavillon 2013



Welche Bedeutung hat persönliche, kulturelle oder politische Identität und Nationalität in einem globalisierten Zeitalter? Der Deutsche Beitrag auf der Venedig Biennale 2013 will bestehende Denkmuster öffnen und präsentiert sich in einer Gleichzeitigkeit von Verschiedenem jenseits nationaler Grenzen. Einen Teil dieses transnationalen Ansatzes bildet der diesjährige Pavillontausch mit Frankreich. Das Modell der Länderpavillons ist charakteristisch für die Venedig Biennale und bestenfalls soll damit der state of contemporary art des jeweiligen Landes gespiegelt werden. Viele Jahre gab es bereits Gespräche über einen möglichen Pavillontausch, dieses Mal gibt es einen besonderen Anlass ihn in die Tat umzusetzen: Der Élysée-Vertrag von 1963 zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, der die deutsch-französische Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg besiegelt hat, feiert 50-jähriges Jubiläum. Es soll nur eine spielerische Geste sein, dennoch ist dies in der Geschichte der Biennale bisher einmalig und endlich darf der Deutsche Beitrag sich einmal eine Runde ausruhen mit der Frage nach der Bespielung von nationalsozialistischer Architektur. Indirekt ist das Gebäude des Deutschen Pavillons trotzdem eingebunden in der Sichtachse aus den mittleren Ausstellungsräumen des Französischen Pavillons. Das Gebäude des Deutschen Pavillons bespielt der französisch-albanische Künstler Anri Sala unter der kuratorischen Leitung von Christine Macel. Für das transnationale Ausstellungskonzept Deutschlands hat die Kuratorin Susanne Gaensheimer vier Künstler ausgewählt, die sich mit zeitgenössischen Fragestellungen zu Kunst und (Inter)- Nationalität beschäftigen: Ai Weiwei aus China, den französisch-iranischen Künstler Romuald Karmakar aus Deutschland, Santu Mofokeng aus Südafrika und Dayanita Singh aus Indien. Allen vier Künstlern ist gemein, bestehende Ideen von Identität und Nationalität zu hinterfragen. Jeder von ihnen hat einen besonderen Bezug zu Deutschland, sei es Ai Weiweis Lehrauftrag an der UdK Berlin oder die jahrelange enge Zusammenarbeit mit deutschen Verlagen und Sammlungen bei Mofokeng und Singh.
Die Installation„Bang“ von Ai Weiwei besteht aus 886 3-beinigen antiken Holzhockern, die durch eine bestimmte Stecktechnik eine rhizomatische raumgreifende Struktur entwickeln. Der Künstler fing an diese Hocker zu sammeln um sich mit der künstlerischen Tradition und Geschichte seines Landes auseinanderzusetzten. In jedem chinesischen Haushalt war früher mindestens ein solcher Holzhocker zu finden, immer individuell gebraucht und er wurde sogar an Hochzeiten von Generation zu Generation als Familiengeschenk weitergegeben. So stehen die Hocker zwischen Standardisierung und Individualität. In der Installation ist jeder Einzelne ein Teil der wachsenden Struktur und steht als Metapher für das Individuum und sein Verhältnis zu einem System. Santu Mofokeng bespielt seinen Raum mit vier fotografischen Serien. In der Arbeit „Black Photo Album“dokumentieren gesammelte Portraitfotografien die bürgerliche Selbstdarstellung in Afrika seit Ende des 19. Jahrhunderts. In den weiteren Serien beschäftigt sich Mofokeng mit der Beziehung von Landschaft und Spiritualität und der geschichtlichen Aufarbeitung der gesellschaftlichen Unterdrückung in der Apartheid. Romuald Karmakar zeigt konzeptuelle Kurzfilme und Dokumentarfilme, in denen er sich mit der deutschen Geschichte, insbesondere aus der Täterperspektive auseinandersetzt. Nationale Identität wird beweglich und zu einer nicht mehr eindeutig definierbaren Angelegenheit, ebenso wie sich Ideologieprozesse nicht geographisch beschränken lassen. Dayanita Singhs künstlerisches Medium ist das Buch. Ihren Raum bespielt sie mit gerahmten Büchern mit Fotografien von Archiven, Diaprojektionen und einem wie sie selbst sagte „atmenden Filmstill“. Archive haben für sie auf der einen Seite eine sehr anziehende Wirkung als Ort des kulturellen Gedächtnis, auf der anderen Seite stellen sie eine unheimliche Belastung dar, hier liegt geschriebene Geschichte, die irgendwann aufgearbeitet werden muss. Der Filmstill „Mona and Myself“behandelt die Frage nach Identität nochmal auf eine ganz andere Weise, nämlich was es bedeutet, wenn man gar keine gesellschaftliche Zugehörigkeit mehr besitzt.


© Roman Mensing, artdoc.de in Zusammenarbeit
Thorsten Arendt, artdoc.de

Im Pavillon stehen dieses Jahr vier Positionen nebeneinander, eine Auswahl aus vielen weiteren, die man in diesem Kontext hätte zeigen können und jede verhandelt die Frage nach nationaler Identität anders. Es ist notwendig scheinbar festgeschriebene Begriffe zu hinterfragen und manchmal aufzubrechen. Was ist „Deutsch-Sein“ und gibt es das überhaupt? Sind solche national definierten Denkkategorien nicht längst obsolet? Es ist kein neuer, aber wahrscheinlich ein endloser Diskurs.
 

 
Die Schaustelle



Die Pinakothek der Moderne muss für einige Monate wegen Rissen in der Rotunde schließen, als Ersatz dient aber kein anderes Museum, sondern die Schaustelle. Ihre Eröffnung gibt erneut Anlass sich mit den Möglichkeiten des Ausstellens und des Ausstellungsraums zu beschäftigen. Der Name sei ein Worthybrid aus„Schaulager“ und „Baustelle“, es soll ein flexibler Ort sein, eine Art provisorische Haltestelle, an der neue Ideen diskutiert werden. Ein Provisorium indem sich die vier Museen der Pinakothek der Moderne (Architektur, Moderne Kunst, Graphik, Design) gemeinsam auf nun kleinerem Raum weiterentwickeln, gegenseitig befruchten und sich fragen, wie wohl das Museum der Zukunft aussehen könnte? Dieses offene Ausstellungsforum zeigt bis September experimentelle und spontane Projekte, besonders das Prozesshafte soll betont werden, um ein junges Publikum zu Partizipation anzuregen. Interessanterweise war im Zusammenhang mit der Schaustelle zu lesen, die Initiatoren wollten eine Black Box anstatt eines White Cube. Fraglich ob eine klare Trennung der beiden so möglich ist oder ob man sich hier nicht vielmehr in der Mitte trifft und den Hybridgedanken nochmal aufgreift. Der Kontext, also die Umgebung wäre in diesem Fall der recyclebare Übergangsbau nach Entwürfen von Jürgen Mayer H., eine Baugerüstkonstruktion mit einem 265qm großen Ausstellungsraum und zwei auf 6m und 17m Höhe gelegene Plattformen innerhalb der offenen Rasterstruktur. Der gesamte Bau kann rückstandsfrei wieder demontiert werden. In wie weit sich die Eigenschaften dieser flexiblen Architektur auch inhaltlich zeigen, sowie auch das Motto – Die Schaustelle erstellt sich selber - wird man sehen. Aber Black Box soll wohl auf den experimentellen Charakter und den transdisziplinären Austausch verweisen, der als ganz neue Chance begriffen wird, neben den gewöhnlichen Räumen der PdM, einem White Cube par excellence. Dabei setzt sich die Schaustelle mit Wiederverwertbarkeit, Mobilität, Transparenz, Verflechtung mit dem Stadtraum und Sensualität künstlerisch auseinander – Themen, die sich auch aus ihrem Wesen selbst ableiten lassen.
Das klingt vielversprechend und lässt gespannt sein auf einen experimentellen Kunstsommer im Münchner Museumsareal...

 




A lot to feel about Sarah Schönfeld


 
Die Künstlerin Sarah Schönfeld (*1979) hat an der UdK Berlin studiert und arbeitet heute in ihrem Studio in Berlin-Kreuzberg. Ihre Photographien beschäftigen sich stark mit ihrer eigenen Biographie und darin verknüpft, mit der deutschen Geschichte. In ihrer Arbeit Wende Gelände hat sie Orte ihrer Kindheit in der ehemaligen DDR aufgesucht und in ihrem Zustand, 15 Jahre nach dem Mauerfall, festgehalten. Die Photographien zeigen diese menschenverlassenen Räume oder deren Überreste in ihrem Verfall.
Ein Großvater war jüdischer Abstammung, der andere war in der Wehrmacht aktiv. Dessen Erlebnisse und Eindrücke versucht sie in einer weiteren Arbeit nachzuempfinden. Dazu begleitete sie eine amerikanische Re-Enactment Gruppe bei nachgespielten 2. Weltkriegsszenarien und dokumentierte dies mit verschiedenen, alten Kameras. In ihren Bildern will sie seine Geschichte erzählen. Soldaten sitzen neben ihren Zelten im Schatten der Mittagssonne unter einem hohen, alten Baum dessen lange Äste malerisch in die Photographie hineinhängen und dabei über die Hälfte des Bildraumes einnehmen -die Aufnahme wirkt zeitlos und ruhig und ästhetisiert eigentlich den Zusammenhang des Dargestellten. Aber man kann sich vorstellen, dass ein tatsächlicher Schnappschuss im Lager der Soldaten sehr ähnlich ausgesehen hätte.
Letztes Jahr waren ihre Werke in der Ausstellung Lost Places. Orte der Photographie in der Hamburger Kunsthalle u.a. neben Thomas Struth und Candida Höfer zu sehen. Aktuell präsentiert die Galerie FELDBUSCHWIESNER in Berlin Sarah Schönfelds neue Serie All You Can Feel erstmals in einer umfangreichen Einzelausstellung. Die Photographien zeigen abstrakte bis kristalline Formen in unterschiedlich starker Farbigkeit. Der Entstehungsprozess erinnert eher an Laborarbeit: Drogensubstanzen wie Speed oder mdma wurden in variablen Mengen, in unterschiedlichen Versuchen in Wasser oder Alkohol aufgelöst und auf die Oberfläche der Negative getropft. Dabei reagiert nach einiger Zeit die Drogenflüssigkeit mit dem Material des Negativs, welches Silber enthält und lässt je nach chemischer Verbindung unglaubliche Strukturen und Farben bis hin zu Kristallen auf der Oberfläche entstehen. Dahinter steht selbstverständlich auch eine Theorie: Je nach Wirkung der Droge auf die Gehirnfunktionen soll eben derselbe Effekt auf den Photographien abstrakt sichtbar sein. Eine aufputschende Droge reagiert mit dem Negativ und hinterlässt also extremere Strukturen, als eine Droge mit entspannender Wirkung. In jedem Fall bilden sich faszinierende Effekte, die nur schwer mit etwas anderem vergleichbar sind. Anregung für diese Arbeiten fand die Künstlerin während ihrer langjährigen Nebentätigkeit im Berliner Club Berghain. Ebenso waren es aber auch wieder persönliche Beobachtungen und Erlebnisse, die ihr Interesse an der Wirkung von Medikamenten oder Drogen auf die menschliche Persönlichkeit und Psyche weckten.
Sarah Schönfeld ist eine hochtalentierte Künstlerin, die sehr ästhetische und gehaltvolle Photographien schafft. Als nächstes werden ihre Arbeiten im Künstlerhaus Bethanien vom 24.5.2013 – 16.6. 2013 ausgestellt sein.
 
 
 
 
 

 
Hadi Teherani: Von der Universität zur Obstschale
Hadi Teherani verbindet Architektur und Design. Sein „ganzheitlicher Anspruch hat ihn immer wieder damit konfrontiert, Grenzen zu überschreiten“, sagt er. Erst in einem umfassenden Gesamtkonzept, in dem die Architektur die Grundstruktur einer räumlichen Idee vorgibt und in Synthese von Produktdesign und Interiordesign sieht er die gelungene Komposition. Es geht um Atmosphäre und Harmonie in einem sinnlich erlebbaren Raum.
Seine architektonischen Entwürfe sind visionär, innovativ, in ihrer Größendimension oft schwer umsetzbar und faszinierend. Inspiration holt er sich ab und zu in der Vergangenheit: Sein Entwurf einer„Living Bridge“ erinnert an die Ponte Vecchio in Florenz.
 
2011 wurde die Zayed University in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten fertiggestellt. Das Gebäude mit seiner auf-und abfließenden organischen Formensprache ist der Mittelpunkt des Campus und strahlt trotz seiner Größe eine ungemeine Leichtigkeit aus. Manchmal Dach, dann doch wieder nicht, nach oben immer wieder in runden und ovalen Formen durchlöchert; nur kurz den Boden berührend um gleich wieder aufzusteigen, bewegt sich die Gebäudeverkleidung und legt sich wie eine Schale über die einzelnen, hauptsächlich glasverkleideten Gebäudeteile der Universität und scheint so alles zusammen zu halten. Futuristisch und multifunktional. Dieses amorphe Design diente als Vorbild für das Tischobjekt SIGN, welches der Dachstruktur der Zayed Universität nachempfunden ist. Tischarchitektur oder Tischskulptur. SIGN ist eine ca. 30cm lange Schale aus reinem Chrom, dreiteilig zusammensetzbar und mit wahlweise bunt lackiertem Mittelstück. So wurde eine Idee, ein Entwurf zugleich in Architektur und Produktdesign umgesetzt. Ebenso interessant ist die Reihenfolge der Entstehung– angefangen bei einem Großprojekt zu einem verhältnismäßig kleinen Tischobjekt.

Es ist bemerkenswert zu sehen, dass Architektur, Produktdesign und Interiordesign gleichrangig nebeneinander existieren und bestehen können. Ein zeitgemäßer und guter Anspruch.
 










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